Mittwoch, 3. März 2004
<14 töne>

eigentlich waren es zwölf töne. so floss der anfang langsam und bedächtig aus dieser seltsamen gitarre. doch gleichsam wabernd takteten sich tanzend töne zwischen endzeit und urknall hervor, direkt hinunter in die hitze der sahara, deren karawanen nachts am feuer rasteten. und aus dann müden kehlen klangen staubige melancholisch, einsame laute, gleich geisteskranken todesklängen aus verseltsamten stahlwerken.
+++ stop +++
orgasmussüchtig!
+++ stop +++
so schickte ich dich schließlich weg und entschied mich anstatt dessen, etwas mehr mich selbst zu lieben. ich sollte nicht mehr für dich tanzen, obwohl ich immer wieder wollte. ich konnte nur immer verlieren. aber die zeit holt jeden ein. ich war mir dessen nicht bewusst. unaufhaltsam tickt sekunde für sekunde vorüber und nimmt keine notiz - weder von dir, noch von mir.
da sitzen wir - verwirrt im leben und wissen nicht, wo wir die ruhe finden können. diese innere ruhe, die wir schon immer suchten. ich kann dich jetzt nicht alleine lassen! ich kann es nicht! ich kann dich einfach nicht alleine lassen! ich habe es versucht. aber nicht jetzt. es geht einfach nicht.
so reisen weiter durch die zeit, verlassen ort für ort, steigen höher bis zum fall. fallen tiefer als die zeit. reisen weiter - weiter, wir.
die matte sonne werden wir uns fangen. wir werden sie für uns behalten, werden ihre wärme spüren, werden das wenige, wichtige von ihr gar als geschenk erkennen - als geschenk des himmels. welch' wunderbarer platz - es ist ein wunderbarer platz hier an dieser matten sonne - nie wieder werde ich das erleben können! leb' wohl, sonne!
dabei will ich doch nur so sein, wie du mich willst. wenn du nur willst, dann will ich es. ich will mit dir durch nächte tanzen, will wieder und wieder mich zu dir hindrehen, will deine luft in mir und dein wasser - dein leben, will dich loslassen und hinfort eilen, nur, um gleich ganz nah zu dir zu kommen.
da sind wieder diese congas die mir die sinne rauben, die zucken und bewegung fordern, die von mir alles haben können. ich kann nicht wiederstehen.
+++ stop +++
ich will dich hier! im eigenen raum will ich dich! und hier unter vier augen leg ich mich dann an meinen lieblingsplatz. so ich will dein hund sein.
+++ stop +++

von <bubi> um <01:32 uhr> <4 Kommentare> <comment> <>

 

Mittwoch, 11. Februar 2004
<aus einer anderen welt>

auch heute war es die traurigkeit wieder, und die wut - die unendliche wut und die traurigkeit, die ihn bei so strahlendem sonnenschein in den wald lockten - diese wut! noch nie ist er sie los geworden. er konnte sie zeitweilig vergessen. aber los wurde er sie nicht. nur deshalb ist er in den wald gegangen. hier kann er die stille tanken in sich, ruhe aufnehmen, und auch dieses glück - dieses tiefe glück. er hat diese gabe. und wenn jemand so eine gabe hat, dann kann es helfen, für einen kurzen augenblick auszubrechen. ihm half es heute jedenfalls. er wurde ruhiger. so war es immer, und es war gut so. mit jedem schritt, den er allein tat, wurde er ruhiger. an diesem nachmittag konnte er immerhin lächeln. er konnte lächeln! ganz still in sich hinein, nur für ein paar stunden. aber was bedeutet das schon für ein leben von fünfzig oder mehr jahren? was nützt denn so ein augenblick in dieser ewig lang gezogenen leine von wahrheiten und augenblicken, die alle auf ihn einstürzen, wann immer es ihnen beliebt zu stürzen, und die dann gleich so leicht wieder empor schwingen können, sobald er sich gerade schützend in die ecke kauerte, so dass selbst seine athletischen sprünge ihn nicht mehr näher bringen können? sie schwebt dann einfach davon und nimmt keine notiz von ihm. so bleibt er dann sitzen mit dem requiem für ernst jandl in seinen händen und in seinem geist mit den worten, deren enge auf seiner brust lasten und seine kehle zuschnüren.
nicht so an diesem nachmittag. heute kommt es anders. möven kreisen in ihren bedächtigen bahnen über dem see. die flügel steif gespannt wie drachen. die köpfe immer geschmeidig in eine richtung bleibend und sich somit immer bewegend. eigentlich ist es das einzige, was sich überhaupt bewegt bei diesen möven in ihrer ständigen gier nach nahrung. oder ist es umgekehrt?
er jedenfalls kann heute darüber lächeln und sich umdrehen. er kann tanzen - alleine tanzen! und die hände in den himmel heben und rhythmisch nach den seiten schwenken. all das kann er heute wieder, heute immer wieder und wieder. er kann damit nicht aufhören an diesem nachmittag voll sonne und gleißenden reflexionen, an diesem nachmittag voller gerüche des frühlings nach krokussen und mandelblüten, hyazinthen und narzissen in seinem kopf, bei diesem reigen der amseln und meisen in seinem kopf, die von frühling künden und von dem leben hier und jetzt an diesem nachmittag, an dem er aufgebrochen war aus einer anderen welt. aus einer dunklen welt voll schatten, die ihn umschlungen hatten seit immer schon. wie lange war es her, seit dem seine hände in den himmel flogen? wie lange hatte seine stimme keine lieder des glücks mehr gesungen? diese drehung im wald - einfach so. sein lachen vor glück. heut' kann er alles tun, den förster küssen vor freude, und hier und da einen der unendlichen küsse den vögeln zupusten - beinahe würde er zu ihnen fliegen können. das würde er schaffen. heute gibt der tag ihm die kraft. und wie er sich auf dem boden wälzt und tief empfundene seligkeit lebt. er kann so einfach liegen bleiben mit der ruhe für einen kurzen augenblick, der ihm gegönnt ist. heute kann er einfach loslassen, hier am strand im februar bei diesem sonnenlicht des winternachmittages, der ihn so glücklich gemacht hat, für einen kurzen augenblick.

von <bubi> um <22:36 uhr> <0 Kommentare> <comment> <>

 

Montag, 26. Januar 2004
<geburtstag im freien fall>

stille kommt plötzlich. nimmt ihren raum erbarmungslos ein. wo eben noch laute menschen in deiner wohnung ihren freund feierten. fällt plötzlich die tür ins schloss und es ist vier uhr, und es bleiben dir die „12 etüden und 5 präludien von heitor villa-lobos“ und es bleibt dir der meditative abwasch, und es bleibt dir die gewissheit, dass du da bist. du bist tatsächlich da! so wie das leben über dich wegrauscht, so spuckt es hier und da gewissheit für dich aus - die gewissheit, dass dich wieder einmal deine freundin verlassen hat, wie sie es immer tut. du trägst die schuld für ihre müdigkeit - ihre unendliche müdigkeit, die du verschuldest! denn sie ist es, die dir immer hinterher laufen muss, immer muss sie hinter dir herlaufen mit deiner traurigkeit, obwohl du nie von ihr gehst. mein freund! ich sehe diese traurigkeit in deinen augen, die tiefer und tiefer in dich eindringt und besitz von dir nimmt. sie wird dich zerstören. niemand sonst kann das sehen. weil du mit niemandem darüber redest. wieso redest du mit niemandem darüber? wieso redest du nicht? es kann doch helfen, zu reden - einfach zu reden! so rede doch endlich, mein freund! du wirst das nicht tragen können - nicht du! so alleine wie du bist mit dir selbst. du stehst nachts auf dem balkon und schaust in die tiefe, die du noch nie ausstehen konntest. der leise schnee streicht dir den nacken. er lässt dich dein leben spüren. er lässt dich die sehnsucht spüren. die sehnsucht, die so tief in dir sitzt, und die ja doch niemand stillen kann. nicht deine freundin und auch nicht ich - nicht deine tote mutter.
wie du ihr bild noch immer in dir trägst, seit jahren - seit dem tag, an dem du abschied namst von ihr. als sie vor dir auf dem boden lag in dieser merkwürdigen eingeknickten haltung - noch nicht fertig zum sterben - in ihrer wohnung. die polizistin mit geschultem mitleid. aber doch war es ein schöner anblick. es war ein wunderbarer letzter anblick, wie sie da lag mit ihrer stille, mit ihrer unendlichen stille und güte, die sie schon immer hatte, mit ihrer traurigkeit, die niemand sah. mit ihrer traurigkeit, die sie dir gegeben hat, die euch verbindet für immer. und wie du nicht weinen konntest als du sie sahst. still deine mutter sahst, deine tote mutter zwischen den achthundert flaschen, die du gezählt hast, die achthundert flaschen zwischen denen sie lag in ihrem eigenen kot, den sie seit wochen überall in ihrer wohnung einfach verlor, weil sie nicht mehr konnte. weil die traurigkeit sie besiegt hatte, die traurigkeit, verlassen worden zu sein von ihrem eigenen sohn, den sie selbst verlassen hatte - schon dreißig jahre zuvor. schon dreißig jahre bevor sie in ihrem leid starb - allein und elendig. du hast sie verlassen! sie kann nichts für deine traurigkeiten und deine sehnsüchte. es war ihr schicksal, in dass sie sich und dich fügen musste. du hättest es nicht ändern können, weil das leben über dich wegrauscht. nur manchmal spuckt es hier und da gewissheit für dich aus - die gewissheit, dass deine mutter tot ist.
sie wird deine sehnsucht nicht stillen können, wenn du durch die straßen streifst - nachts durch die straßen streifst und niemanden sehen willst. wenn du wegrennst ohne ziel in die nacht hinein, weil du nicht schlafen kannst. weil du von deinem balkon nicht in die tiefe schauen magst - in die tiefe, die dich immer wieder in sich aufnehmen möchte, deinen schädel auf dem autodach zerbersten möchte. aber du willst nicht! du willst silberne nachtkiefernwälder an der havel durchschreiten und das knirschen des schnees bei jedem deiner schweren schritte am ufer der havel hören. du willst dich sonnen im gedanken an sommerwinde, die dein segel aufblähen, und dich über das wasser tragen - dich über das laue wasser gleiten lassen zu anderen ufern und dich wärmen. und das plätschern der wellen an deinem bug. du bist verrückt vor sehnsucht hier in dieser kälte am ufer der havel in mitten dieser silbrigen nacht, die ihren silbrigen glanz über dunkle kiefern schüttet. und da ist der leise schnee, der deinen nacken streicht und dich dein leben spüren lässt.
was bleibt, ist das lexikon merkwürdiger todesarten, das du von deinem freund heute zum geburtstag geschenkt bekamst, und es bleiben die päludien, die traurig, brasilianisch aus der gitarre rieseln gleich einem virtuosen wasserfall, so traurig, wie die tränen, die längst aus deinen augen fließen sollten, damit du endlich schlafen kannst. damit du endlich ruhe findest. mein freund! ich lasse dich nicht im stich. ich kenne dich. und ich kenne das leben, dass über dich hinwegrauscht. aber hier und da spuckt es gewissheit für dich aus.

von <bubi> um <21:56 uhr> <1 Kommentar> <comment> <>