<aus einer anderen welt>

auch heute war es die traurigkeit wieder, und die wut - die unendliche wut und die traurigkeit, die ihn bei so strahlendem sonnenschein in den wald lockten - diese wut! noch nie ist er sie los geworden. er konnte sie zeitweilig vergessen. aber los wurde er sie nicht. nur deshalb ist er in den wald gegangen. hier kann er die stille tanken in sich, ruhe aufnehmen, und auch dieses glück - dieses tiefe glück. er hat diese gabe. und wenn jemand so eine gabe hat, dann kann es helfen, für einen kurzen augenblick auszubrechen. ihm half es heute jedenfalls. er wurde ruhiger. so war es immer, und es war gut so. mit jedem schritt, den er allein tat, wurde er ruhiger. an diesem nachmittag konnte er immerhin lächeln. er konnte lächeln! ganz still in sich hinein, nur für ein paar stunden. aber was bedeutet das schon für ein leben von fünfzig oder mehr jahren? was nützt denn so ein augenblick in dieser ewig lang gezogenen leine von wahrheiten und augenblicken, die alle auf ihn einstürzen, wann immer es ihnen beliebt zu stürzen, und die dann gleich so leicht wieder empor schwingen können, sobald er sich gerade schützend in die ecke kauerte, so dass selbst seine athletischen sprünge ihn nicht mehr näher bringen können? sie schwebt dann einfach davon und nimmt keine notiz von ihm. so bleibt er dann sitzen mit dem requiem für ernst jandl in seinen händen und in seinem geist mit den worten, deren enge auf seiner brust lasten und seine kehle zuschnüren.
nicht so an diesem nachmittag. heute kommt es anders. möven kreisen in ihren bedächtigen bahnen über dem see. die flügel steif gespannt wie drachen. die köpfe immer geschmeidig in eine richtung bleibend und sich somit immer bewegend. eigentlich ist es das einzige, was sich überhaupt bewegt bei diesen möven in ihrer ständigen gier nach nahrung. oder ist es umgekehrt?
er jedenfalls kann heute darüber lächeln und sich umdrehen. er kann tanzen - alleine tanzen! und die hände in den himmel heben und rhythmisch nach den seiten schwenken. all das kann er heute wieder, heute immer wieder und wieder. er kann damit nicht aufhören an diesem nachmittag voll sonne und gleißenden reflexionen, an diesem nachmittag voller gerüche des frühlings nach krokussen und mandelblüten, hyazinthen und narzissen in seinem kopf, bei diesem reigen der amseln und meisen in seinem kopf, die von frühling künden und von dem leben hier und jetzt an diesem nachmittag, an dem er aufgebrochen war aus einer anderen welt. aus einer dunklen welt voll schatten, die ihn umschlungen hatten seit immer schon. wie lange war es her, seit dem seine hände in den himmel flogen? wie lange hatte seine stimme keine lieder des glücks mehr gesungen? diese drehung im wald - einfach so. sein lachen vor glück. heut' kann er alles tun, den förster küssen vor freude, und hier und da einen der unendlichen küsse den vögeln zupusten - beinahe würde er zu ihnen fliegen können. das würde er schaffen. heute gibt der tag ihm die kraft. und wie er sich auf dem boden wälzt und tief empfundene seligkeit lebt. er kann so einfach liegen bleiben mit der ruhe für einen kurzen augenblick, der ihm gegönnt ist. heute kann er einfach loslassen, hier am strand im februar bei diesem sonnenlicht des winternachmittages, der ihn so glücklich gemacht hat, für einen kurzen augenblick.

<Mittwoch, 11. Februar 2004, 22:36>, von <bubi> <comment> <>


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